Der folgende Text stammt aus der Feder von Sabine Mecki und hat im Forum mich und viele andere begeistert - Sabine hat mich gebeten, bzw. mir erlaubt, Ihr Posting hier zu veröffentlichen.

 

"Ich dachte, ich hätte die Trauer irgendwie im Griff, da schlug sie mit aller Härte wieder zu." So oder so ähnlich hatte es jeder von uns schon empfunden. Ich habe mich oft gefragt warum und bin jetzt auf eine Lösung gestoßen.

 

 

Das Trauerkind  

Der Moment, an dem wir unser Kind gehen lassen mussten, ist der Moment der Geburt unserer Trauer.
Und wie ein Neugeborenes verhält sie sich auch. Sie füllt unser ganzes Wesen aus, unseren ganzen Tag, unser ganzes Dasein. Wie ein Säugling den ganzen Tag von uns getragen wird, tragen wir die Trauer 24 Stunden. Wir spüren ihr Gewicht körperlich in Form von Schmerz. Die Trauer liegt auf unserer Brust, nimmt uns die Luft zum Atmen, und trinkt unsere Energie. Es gibt nichts Anderes in dieser ersten Zeit, nur den Schmerz, die Kraftlosigkeit, die Trauer.

Aber ein Säugling entwickelt sich, zunächst unmerklich, dann mit kleinen Sprüngen. Plötzlich kann es von der Mutter wegrobben, eigenes Terrain entdecken. Es wird nicht mehr 24Stunden am Tag an der Brust getragen, will das auch nicht. Es braucht noch immer sehr viel Körperkontakt, aber auch Freiraum. Und irgendwann schläft es zum ersten Mal durch.
Und unsere Trauer: Verblüfft stellen wir fest, dass wir die Trauer zwar noch ständig spüren, dass der körperliche Schmerz aber Pausen macht, Pausen an denen man zwar noch sehr intensiv trauert, aber wieder atmen kann. Die Lebensenergie wird nicht mehr unendlich abgezogen, Kleinigkeiten des Alltags sind uns wieder möglich. Manche Mütter können das erste Mal nach langer Zeit wieder nachts schlafen, bei anderen waren (wie bei manchen "lebenden Kindern") die Nächte eigentlich kein so großes Problem. Wieder ist das "Schlafenkönnen" nicht das Maß unserer Trauer oder gar unserer Liebe zu unseren Sternchen.

Dann kommt das Kind in den Kindergarten. Am Anfang macht sich die Mutter große Sorgen, denkt die ganzen 4 Stunden ununterbrochen an ihr Kind. Manche Kinder fällt der Übergang leicht, andere klammern. Liebt eine Mutter ihr Kind weniger, wenn das Kind loslässt und geht? Natürlich nicht. Liebt eine Mutter ihr Kind weniger oder mehr, wenn das Kind mit 5 Jahren mehr oder weniger Körperkontakt braucht? Natürlich nicht. Und nach dem Kindergarten kommt das Kind in die Arme der Mutter geflogen, holt sich die Geborgenheit die es braucht, und will erzählen
Genauso ist es mit unserer Trauer. Nicht einschneidend, aber schleichend, gibt es Momente, an dem wir die Trauer nicht spüren, an dem wir vielleicht über Witze lachen können, einen Kuschelabend mit unserem Partner verbringen oder richtig aufmerksam einen Film ansehen können, ohne ständig an unseren Verlust zu denken. Und wie bei den lebenden Kindern, so ist diese Entwicklung auch bei unseren Engelchen bei jedem Anders. Aber die Liebe ist immer die Gleiche. Und der Schmerz kommt dann auch zurück, genauso nah genauso heftig wie man es schon gewöhnt ist.

Manchmal bekommt das Kind ein Geschwisterchen. Es ist eifersüchtig, weil das neue "Neugeborene" mehr Zeit und körperliche Nähe beansprucht, fühlt sich vom Thron gestoßen und fällt in alte Babygewohnheiten zurück.
So kann es auch unserem Trauerkind gehen, wenn ein Folgekind kommt. Schon in der Schwangerschaft stellt sich oft die körperliche Trauer ein, diesmal verbunden mit Angst. Und ist das Folgebaby erst einmal da, spüren wir den vorwurfsvollen "Blick" unseres Trauerkindes, manchmal wie körperlich "Und ich? Für mich hast Du keine Zeit mehr, liebst Du mich nicht mehr?", und wir bekommen ein schlechtes Gewissen, glauben eine schlechte Mutter zu sein, die ihr totes Kind vernachlässigt.
Irgendwann hat sich aber alles eingespielt. Das Trauerkind merkt, dass es auch Zeit für es gibt, dass es nicht vergessen ist. Auch das Folgekind lernt, dass noch ein Geschwisterkind auch die Liebe seiner Eltern mit beansprucht. Es wird zum Grab mitgenommen und wenn es älter wird, werden ihm Photos gezeigt und es wird ihm erklärt, was passiert ist. So wie Geschwister ganz selbstverständlich miteinander groß werden, lernt auch das Folgekind, dass das Sternenkind das Trauerkind bei seinen Eltern gelassen hat, an seiner statt. Und da auch bei der größten Geschwisterliebe Streit unvermeidlich ist, werden auch da Machtkämpfe um die elterliche Aufmerksamkeit nicht ausbleiben. Manchmal ein schlechtes Gewissen, wenn man sein Folgekind richtig glücklich anlacht, dann wieder wird das Folgekind zum "Kasper" oder "Haustyrann" wenn es merkt, dass Mama "zu lange" heute so still und nachdenklich ist. Aber irgendwie gibt es dann auch schnell wieder Versöhnung.

Dann kommt das Kind in die Pubertät, lehnt sich gegen die Eltern auf, es gibt Zoff. "Lass mich in Ruhe. Du hast mir überhaupt nichts zu sagen" etc. Die Liebe der Mutter wird ausgetestet bis zum geht nicht mehr, aber sie ist (meistens) immer noch da, auch wenn viele Jugendliche den Kontakt zu ihren Eltern fast ganz ablehnen, die Türen verschließen.
Und unser Trauerkind: Jetzt passiert es zum ersten Mal, dass wir z.B. einen Kinderwagen ansehen, hineinschauen und das Baby bewundern, wartend auf das so bekannte Gefühl des Schmerzes- und es kommt nicht. Wenn das zum ersten Mal passiert, erschrecken wir uns wahrscheinlich, denken "Ich liebe mein Baby nicht mehr. Ich spüre den Schmerz nicht. Was bin ich für eine Rabenmutter". Aber die Trauer will nicht mehr "abrufbar" sein. Will einfach nicht mehr irgendwelchen Ritualen und Signalen gehorchen, will kommen und gehen, wann es ihm passt. Jetzt kann es sein, dass man von heftiger Trauer mitten in der Nacht geweckt wird, was wahrscheinlich schon lange nicht mehr passiert ist. Wie ein Jugendlicher, der nachts um 3 beschließt, seiner Mutter doch von seinem Liebeskummer zu erzählen.

Dann irgendwann ist das Kind erwachsen, verlässt das Elternhaus. Stirbt damit die Liebe der Mutter? Nein. Nach einer Eingewöhnungszeit fängt die Mutter an, ihr Leben wieder ganz so zu leben, wie sie es möchte. Sie liebt ihr Kind, aber es ist aus dem Haus. Und jedes Kind ist anders. Einige rufen ihre Mutter 2 mal die Woche an, einige lassen sich noch eine Weile die Wäsche waschen und sie sehen sich häufig, wieder andere melden sich nur zu Weihnachten und Neujahr. Aber die Mutterliebe bleibt.

Und die Trauer. Auch die zieht irgendwann vielleicht aus, nur das warme Gefühl der Liebe zu diesem Kind bleibt. Und der gelegentliche Anruf, das gelegentliche Gefühl, das an den alten Schmerz erinnert, aber doch ganz anders ist.

Und wie es bei lebenden Kindern sein kann, dass auch nach vielen Jahren, die erwachsene Tochter mit einem Koffer in der Hand in der Tür steht, weinend in die Arme der Mutter fliegt und erst einmal wieder für ein halbes Jahr zurück ins alte Kinderzimmer zieht, kann auch unser Trauerkind zurückkommen, mal für einen Kurzbesuch, dann vielleicht sogar für eine ganze Phase. Aber ob das nun passiert oder nicht, die Mutterliebe ist die Gleiche.

Jedes Kind entwickelt sich anders. Einige lernen erst mit 2 Jahren laufen, andere ziehen schon mit 16 von zu Hause aus. Wir können das nur bedingt beeinflussen und es ist nicht das Maß unserer Liebe wie schnell oder gut sich ein Kind entwickelt. Es steckt auch in ihm.
Und jedes unserer Trauerkinder entwickelt sich nach seinem Tempo, mit seinen Fortschritten und Rückschlägen. Wir können mit Therapien und Gesprächen (wie zum Beispiel durch ein Internet-Forum) versuchen die Entwicklung zu unterstützen, aber ganz steuern können wir sie nicht.

Es ist nicht das Maß unserer Liebe zu unseren Sternchen, wie wir trauern; körperlich oder seelisch, 24 Stunden oder in Schüben. Alles hat seine Zeit. Und die "Entwicklungszeit" unserer Trauerkinder lässt sich nicht in Erdenzeit messen. Manche sind schon nach wenigen Monaten "Schulkinder" andere sind noch nach Jahren in der "Säuglingsphase". Das müssen wir akzeptieren. Mir hat das Trauer-Forum sehr geholfen. Denn dort habe ich gelernt meine Trauer zuzulassen. Ich habe viel zu früh versucht, sie von mir zu schieben (die Trauer, NICHT die Liebe zu meinem Kind). Das konnte nicht funktionieren, wir waren beide noch nicht soweit. Ich habe versucht, die Trauer für erwachsen zu erklären, obwohl sie die ganzen Phasen noch gar nicht durchlaufen hatte. Die Trauer, weggeschoben in den Hintergrund oder gar als übertrieben, nicht mehr zulässig, verhasst, staute sich wie die Lava in einem Vulkan, der immer wieder ausbrach und dann nicht nur mich mit seiner Heftigkeit erschreckte. Ein Kind braucht Sicherheit. Es braucht vielleicht nicht mehr ständig den Kontakt zur Mutter, aber es braucht das Gefühl, jederzeit willkommen zu sein.

Und die Trauer auch! Seitdem sie weiß, sie kann jederzeit kommen, drückt sie nicht mehr von innen die Seele ab, muss nicht mehr ständig fragen "Hast Du mich noch lieb? Spürst Du mich noch?"

Ich wünsche Euch ganz viel Kraft, in welcher Phase Eure Trauerkinder auch gerade sind. (Meine ist, glaube ich, irgendwo zwischen Schulzeit und Pubertät). Und ich hoffe, vielleicht eine Erklärung gefunden zu haben, warum "alte Hasen" und "frisch Trauernde" so unterschiedlich und doch so gleich sind. Denn wir haben alle unsere Mutterliebe zu unseren Sternenkindern, und wir haben alle unser Trauerkind, das Beachtung einfordert. Es ist nur jedes Kind in einer anderen Phase, braucht ein anderes Maß an Zuwendung.

(c) by Sabine Mecki

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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